Das Buch und Leseprobe
"Die fantastischen Abenteuer des kleinen Noah mit seinem Freund Watzi dem Wolperdinger"
Begleite den abenteuerlustigen Jungen Noah und seinen besten Freund Watzi, den liebenswerten Wolperdinger, auf eine unvergessliche Reise durch die majestätische Bergwelt des Berchtesgadener Landes!
Noah und Watzi erleben spannende Abenteuer auf einem Fernen Gletscher, oder auch zu Hause im Zauberwald mit den kleinen Wichtelmännern.
Ein herzerwärmendes Vorlese- und Selbstlesebuch für alle jungen Entdecker.
Lies rein und bestelle!
Neugierig auf Noahs und Watzis magische Welt?
Lies jetzt das spannende Kapitel: der "KRISTALLGLETSCHER"
Die Sonne hatte gerade begonnen, die Gipfel des Lattengebirges zu küssen, als Watzi Noah sanft mit seinem Geweih anstupste.
„Aufstehen, mein Freund! Wir fliegen heute weiter als je zuvor!“, piepste der Wolperdinger aufgeregt. Noah rieb sich den Schlaf aus den Augen. Er erinnerte sich an seinen letzten Wunsch: eine lange große Reise.
Watzi hatte ihm von einem Ort erzählt, den nur die alten Berggeister kannten: dem Kristall-Gletscher im Herzen der Alpen. Man sagte, die Luft dort sei so rein, dass man die Gedanken der Sterne hören könne, und das Eis glänze wie tausend Diamanten.
Nach einer schnellen Brotzeit – ein paar Scheiben von Papas frischem Bauernbrot und einen Apfel aus dem Obstgarten, schwang sich Noah auf Watzis starken Rücken.
„Halt dich gut fest, Noah! Es geht los!“, rief Watzi.
Mit einem kräftigen Flügelschlag seiner Entenflügel stießen sie sich vom Boden ab. Woooooow. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Unten sahen die Berge von Berchtesgaden aus wie grüne und graue Stofffalten. Sie flogen höher und höher, über den Grünstein und den majestätischen Watzmann, bis die Welt unter ihnen nur noch eine bunte Karte war.
Die Reise war lang. Die Luft wurde dünn und kühl, und dicke, flauschige Wolken umhüllten sie zeitweise. Watzi war ein fantastischer Flieger; seine Flügel arbeiteten unermüdlich. Noah sang ihm leise die Lieder vor, die er von seinem Vater gelernt hatte, um ihn bei Laune zu halten.
Nach vielen Stunden, als der Himmel schon tiefblau wurde und die ersten Sterne aufleuchteten, erreichten sie ihr Ziel.
Vor ihnen lag eine Landschaft, die nicht von dieser Welt schien,. Ein riesiger Gletscher breitete sich aus, dessen Oberfläche nicht weiß, sondern in tiefen Blau-, Türkis- und Violetttönen schimmerte. Überall ragten spitze Eiszacken und Wände empor, die das Mondlicht einfingen und es in Millionen von funkelnden Lichtern zurückwarfen. Es war still, eine Stille, die so tief war, dass Noah sein eigenes Herz schlagen hören konnte.
„Das ist der Kristall-Gletscher“, flüsterte Watzi ehrfürchtig und landete sanft auf einer großen, flachen Eisfläche.
Während sie staunend umherblickten, bemerkte Noah etwas Ungewöhnliches. Tief im Inneren des Gletschers, in einer riesigen Eishöhle, schien ein sanftes, grünes Licht zu pulsieren. Es war kein gewöhnliches Licht, sondern wirkte, als würde es leben.
„Watzi! Schau mal da drüben!“, sagte Noah und zeigte auf eine leuchtende Höhle. „Was ist das?“
Watzi zuckte mit den Ohren. „Ich glaube, das ist das Geheimnis, wegen dem wir hier sind, Noah… Komm, wir müssen ganz vorsichtig sein.“
Sie machten sich auf den Weg zur Höhle. Jeder Schritt auf dem Eis knirschte leise. Was würde sie in dem grün leuchtenden Inneren des uralten Gletschers erwarten? War es ein Schatz? Oder der Hüter dieses geheimnisvollen Ortes?
Noah und Watzi schlichen vorsichtig über die schimmernde Eisfläche. Das Knirschen ihrer Schritte war in der tiefen Stille des Gletschers unheimlich laut. Je näher sie dem grün leuchtenden Höhleneingang kamen, desto stärker spürte Noah ein Kribbeln in seiner Brust. Es fühlte sich an wie Aufregung, aber auch wie ein tiefer Zauber.
Der Eingang zur Höhle war ein gesplittertes Loch in der tiefblauen Eiswand, umrahmt von unzähligen, messerscharfen Eiszacken, die wie Edelsteine funkelten.
„Bist du bereit, mein Freund?“, flüsterte Watzi, die Entenflügel eng an den Körper gezogen.
Noah nickte entschlossen. „Mit dir an meiner Seite, immer!“
Sie betraten die Höhle. Im Inneren war es überraschend warm. Die Luft war feucht und roch nach reinem Schnee und einem Hauch von etwas Süßem, Blumigem. Das grüne Licht pulsierte nun so hell, dass es Schatten an die Eiswände warf, die tanzten wie Geister.
Die Höhle war riesig. In der Mitte stand auf einem Sockel aus uraltem Eis ein Objekt, das die Quelle des Leuchtens war: ein großer, glatter Stein – aber er war nicht wie gewöhnliche Felsen. Er schwebte etwa einen Meter über dem Eis. Er war durchsichtig wie Glas und leuchtete mit einem warmen, smaragdgrünen Licht.
„Ein Kristall!“, hauchte Noah ehrfürchtig.
„Nein, Noah“, korrigierte Watzi mit ernster Stimme. „Das ist das Herz des Gletschers – der Atem der Alpen. Die Legende besagt, dass er die Erinnerungen aller Berge, Seen und Wälder dieser Welt speichert. Er pulsiert mit der Lebenskraft der Natur.“
Als Noah einen Schritt näher machte, verstärkte sich das grüne Licht. Plötzlich begannen die Wände der Eishöhle, Bilder zu zeigen:
Er sah, wie vor Tausenden von Jahren der Watzmann und das Lattengebirge durch gewaltige Kräfte emporstiegen. Er sah, wie der Königssee aus einem uralten Gletscher entstand. Er sah Tiere, die längst ausgestorben waren, und Wolperdinger in allen Formen und Farben, die fröhlich durch die Wälder sprangen. Es war eine stumme, aber lebendige Geschichte der gesamten Bergwelt.
Noah war so fasziniert von den tanzenden Bildern, dass er nicht bemerkte, wie sich die Temperatur im Raum veränderte. Das Eis begann zu zittern.
„Wir müssen jetzt gehen, Noah!“, rief Watzi plötzlich. Seine Ohren zuckten nervös. „Wir dürfen das Herz nicht stören! Es wurde uns gezeigt, aber es ist nicht zum Anfassen!“
Gerade als Noah sich umdrehen wollte, hörte er ein tiefes, brummendes Geräusch von der Decke. Ein großer Teil des Eises brach donnernd ab, und versperrte den einzigen Ausgang. Sie waren im Kristall-Gletscher gefangen!
Das donnernde Krachen des Eises hallte in Noahs Ohren nach. Eine riesige, blau schimmernde Eiswand versperrte nun den Höhlenausgang.
„Jetzt sitzen wir fest!“, keuchte Noah. Er sah Watzi an, der mit besorgtem Blick um sich schaute.
Der Wolperdinger schüttelte seinen Hasenkopf. „Keine Panik, Noah! Ein Wolperdinger findet immer einen Weg. Das war kein Zufall – der Gletscher warnt uns, dass wir hier nicht hingehören.“
Das grüne Leuchten des schwebenden Kristalls, des Herzens des Gletschers, wurde unruhiger. Es pulsierte schneller, als würde es ihren Stress spüren.
Watzi ging auf die versperrte Stelle zu, knabberte kurz mit seinen Biberschneidezähnen am Eis, schüttelte aber den Kopf. „Viel zu dick. Meine Zähne sind gut, aber nicht so gut.“
Noah dachte nach. Die Wände hatten ihm gerade die Geschichte der Alpen gezeigt. Er musste sich an das erinnern, was er über die Berge wusste. Sein Vater hatte ihm immer gesagt, dass Wasser und Eis die größten Baumeister und Zerstörer der Berge seien.
„Watzi! Die Wärme!“, rief Noah. „Die Luft hier drinnen ist warm und feucht, das Eis schmilzt ganz langsam. Wenn wir die Wärme verstärken...“
Watzi verstand sofort. „Du meinst, wir brauchen ein kleines Feuer! Aber in einer Eishöhle? Und wir haben kein Holz!“
Noah blickte um sich. Sein Blick fiel auf den Sockel, auf dem der schwebende Kristall thronte. Es war reines, uraltes Gletschereis, das aber ganz leicht grün schimmerte, da es die Energie des Kristalls absorbierte.
„Wir können kein Feuer machen, aber wir haben etwas viel Stärkeres! Die Energie des Kristalls!“
Er zeigte auf den grünen Stein. „Die Legende sagt, er ist die Lebenskraft der Natur! Wenn wir ihn bitten, uns zu helfen, vielleicht gibt er uns genug Wärme, um eine kleine Stelle des Eises zu schmelzen!“
Watzi zögerte. „Das ist gefährlich, Noah. Das Herz zu stören...“
„Wir stören es nicht, wir bitten es“, sagte Noah sanft. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das warme, süße Gefühl in der Luft. Er dachte an die Schönheit des Watzmanns, an das klare Wasser des Königssees und an die Freundlichkeit der Menschen in seiner Heimat.
„Liebes Herz des Gletschers“, flüsterte Noah, die Hände auf sein eigenes Herz gelegt. „Wir lieben diese Berge. Wir sind keine Eindringlinge. Wir wollen nur heimkehren. Bitte, zeige uns den Weg zurück ins Licht.“
In diesem Moment geschah etwas Wunderbares.
Der schwebende Kristall strahlte nicht mehr nur grün. Er begann, in einem warmen, goldenen Ton zu pulsieren. Ein Strahl dieses goldenen Lichts schoss aus dem Kristall und traf die riesige Eiswand, die den Ausgang versperrte.
Das Gold traf das Eis, und an der Stelle begann das Eis nicht zu schmelzen, sondern sich wie weicher Ton zu verformen. Das goldene Licht zog einen perfekten, runden Tunnel durch die Barriere. Es gab kein Schmelzwasser, nur eine perfekt glatte Öffnung, gerade groß genug für Noah und Watzi.
„Der Gletscher hat geantwortet!“, flüsterte Watzi erstaunt.
„Er hat uns den Weg freigegeben“, sagte Noah dankbar.
Sie verneigten sich tief vor dem schwebenden Kristall. Ohne ein Wort zu sagen, glitten sie durch den golden beleuchteten Tunnel und waren wieder draußen auf der glitzernden Oberfläche des Kristall-Gletschers. Hinter ihnen schloss sich der Eistunnel geräuschlos, als wäre nie etwas gewesen.
Als Noah und Watzi aus dem geräuschlos geschlossenen Eistunnel traten, stand der Mond hoch und badete den Kristall-Gletscher in silbernes Licht. Sie verneigten sich noch einmal in Richtung der Eishöhle, in der das goldene Leuchten des Kristalls nun wieder in sein ruhiges, smaragdgrünes Pulsieren zurückgekehrt war.
„Wir müssen jetzt wirklich los, Noah“, sagte Watzi. „Der Berg hat uns gewarnt. Wir haben unser Abenteuer gehabt.“
Gerade als Watzi seine Entenflügel zum Abflug ausbreiten wollte, spürte der Boden unter ihren Füßen ein tiefes, langes Beben. Es war stärker als das, was das Eis in der Höhle zum Einsturz gebracht hatte. Es fühlte sich an, als würde der ganze Gletscher aufatmen.
Ein gewaltiges krachendes Geräusch zerriss die Stille.
Noah und Watzi drehten sich um. Etwa hundert Meter entfernt, wo der Gletscher eine senkrechte Abbruchkante bildete, öffnete sich ein Riss. Das Eis spaltete sich wie ein riesiger Mund. Aus der Tiefe stieg ein kalter, uralter Dampf auf, der nach versteinerten Kräutern und sauberer, frostiger Luft roch.
Und dann sahen sie es.
Langsam, knirschend und mit einem Geräusch, das an das Reiben von tausend Steinen erinnerte, hob sich eine gigantische Gestalt aus dem Eis. Es war ein Fabelwesen, das über Jahrtausende im ewigen Eis eingefroren gewesen war und durch die ungewohnte Energie des Kristalls im Moment ihrer Befreiung geweckt wurde.
Das Wesen war riesig, mindestens dreimal so groß wie Watzi im Stehen. Sein Körper war aus dunklem, fast schwarzem Gestein, doch überall schimmerten feine Linien aus blauem Gletschereis und funkelnden, kleinen Kristallen. Es hatte dicke, muskulöse Gliedmaßen, aber keinen Hals – der massige, flache Kopf mit zwei uralten, leuchtend blauen Augen saß direkt auf dem Körper.
„Ein Eisriese!“, flüsterte Watzi entsetzt und duckte sich hinter Noah. „Das ist der Gletscherwächter, Noah! Er ist uralt. Die Legenden sagen, er schläft, bis die Luft in den Bergen so rein ist, dass er seinen ersten Atemzug nehmen kann!“
Der Eisriese streckte seinen gewaltigen Arm, und seine Hand, die so groß war wie ein Auto. Er schüttelte vorsichtig den letzten Schnee und Eis von seinem Körper. Seine blauen Augen fixierten sofort die beiden kleinen Eindringlinge.
Das Wesen atmete tief ein. Der Atemzug war so kalt, dass kleine Eiskristalle in die Luft stiegen. Dann sprach er mit einer Stimme, die so tief war, dass sie nicht nur in Noahs Ohren, sondern in seinen Bauch dröhnte:
„Kleine Wesen. Ihr tragt den Duft des Herzens in euch. Habt ihr mich gerufen?“
Watzi zitterte. Er, der mutige Wolperdinger, hatte schon Bären verscheucht und Adler überlistet, aber ein Eisriese, der mit der Stimme des Donners sprach, war eine andere Sache.
Doch Noah trat vor, gestützt von der Dankbarkeit, die er dem Herzen des Gletschers schuldete. Er wusste, dass das Wesen, das von so viel reiner Energie geweckt wurde, nicht böse sein konnte.
„Wir... wir haben Euch nicht absichtlich gerufen, mächtiger Wächter“, antwortete Noah mit fester Stimme, obwohl seine Knie weich waren. „Wir waren in der Höhle gefangen. Wir haben das Herz des Gletschers nur gebeten, uns einen Weg freizugeben.“
Der Eisriese, dessen riesiger Körper aus dunklem Gestein und blauem Eis bestand, neigte seinen massiven Kopf langsam. Seine tiefblauen Augen, die wie zwei uralte Gletscherseen leuchteten, musterten den kleinen Jungen.
„Gebeten“, dröhnte der Riese nachdenklich. „Das ist lange her, dass ein menschliches Herz auf diese Weise mit den Bergen gesprochen hat. Ihr seid rein.“
Der Riese atmete erneut aus, und diesmal spürte Noah keine Kälte, sondern eine sanfte, frostige Brise, die seine Wangen kühlte.
„Mein Name ist Firn“, sagte der Riese. Firn – so nannten die Bergsteiger den ewigen Schnee. „Ich bin der erste und älteste Wächter des Kristall-Gletschers. Vor vielen, vielen Menschenleben bin ich eingeschlafen, als die Menschen aufhörten, die Magie der Berge zu sehen. Ich habe gewartet, bis eine unschuldige Seele wie deine, Junge, die Quelle der Kraft berührt, die mich wecken würde.“
Watzi wagte es, hinter Noah hervorzulinsen. „Du… du bist also kein böser Berggeist, der uns fressen will?“
Firn lachte – ein tiefes, rollendes Geräusch, das Schneelawinen imitierte. „Fressen? Nein. Ich bin die Erinnerung. Ich bin der Frost. Und ich bin unendlich allein.“
Er hob die Hand, und diesmal ließ er sie ganz sanft auf die Eisfläche sinken, sodass es nur ein leises puff gab.
„Ihr seid Freunde der Berge. Du, kleiner Wolperdinger, du bist ein Kind dieser Gipfel. Und du, Noah, du hast das Herz am rechten Fleck. Seid nicht besorgt. Ich werde diesen Ort nicht verlassen. Ich bin gekommen, um zu sehen, ob die Welt schon bereit ist für die alten Mächte.“
Firn schloss kurz seine blauen Augen. Als er sie wieder öffnete, tropfte aus seinem rechten Auge etwas Kleines und Helles auf das Eis. Es war keine Träne, sondern ein Eiskristall – so perfekt und klar, dass es alle Farben des Mondlichts einfing.
„Nehmt dies, meine neuen Freunde. Dies ist ein Splitter von meinem eigenen Eis. Es wird eure Herzen auf dem Heimflug wärmen und euch den Weg weisen. Und es soll die Erinnerung sein, dass ihr einen Freund im tiefsten, kältesten Herzen der Alpen habt.“
Noah hob den funkelnden Kristall behutsam auf. Er war eiskalt, aber er strahlte eine beruhigende, sanfte Kraft aus.
„Vielen Dank, Firn“, sagte Noah leise.
„Komm gut zur Ruhe, alter Wächter“, piepste Watzi.
Firn nickte langsam. „Fliegt jetzt, bevor die Sonne mich wieder zu fest in den Schatten stellt. Und vergesst niemals, dass wahre Abenteuer in euren Herzen beginnen.“
Mit einem letzten, kräftigen Flügelschlag stiegen Noah und Watzi in den Nachthimmel empor, den funkelnden Kristall fest in Noahs Hand. Unten sahen sie, wie Firn, der Eisriese, sich langsam wieder in die Gletschermasse zurückzog, bereit, erneut zu schlafen, aber mit der Gewissheit, dass die Magie der Berge noch lebte.
Die Heimreise war lang, aber leichter. Der kleine Eiskristall in Noahs Hand strahlte eine sanfte, warme Energie aus, die die kühle Höhenluft weniger beißend machte. Sie flogen über endlose Gipfelketten, die im Mondlicht silbern glänzten.
Nach einigen Stunden, als sie die majestätische Silhouette des Hochkönigs erreichten, einem Bergriesen aus Fels und Eis, der über die Salzburger Alpen wachte, spürte Watzi ein leichtes Ziehen in seinen Hasenohren.
„Halt, Noah!“, piepste der Wolperdinger und schlug mit seinen Entenflügeln langsamer. „Ich höre etwas. Ein leises Klagen, es kommt von dort drüben!“
Noah sah hinüber. Die Flanken des Hochkönigs fielen in steilen, grauen Felswänden ab. Sie suchten mit den Augen und entdeckten schließlich die Quelle des Klagens: Auf einem schmalen Felsvorsprung, kaum größer als ein Esstisch, hatte sich ein prächtiger, alter Steinbock verfangen. Seine gewaltigen, geriffelten Hörner waren so unglücklich in einer Felsspalte verkeilt, dass er sich weder vor- noch zurückbewegen konnte. Er zappelte hilflos und war erschöpft.
„Oh nein, er hängt fest!“, rief Noah. „Wir müssen ihm helfen, Watzi! Er würde sonst abstürzen!“
Ohne zu zögern, steuerten sie den Felsvorsprung an. Watzi landete geschickt auf dem winzigen Absatz. Der Steinbock blähte die Nüstern und stieß ein warnendes Schnauben aus, aber er war zu schwach, um sich zu wehren.
„Ganz ruhig, alter Freund“, murmelte Noah beruhigend. „Wir wollen dir helfen.“
Die riesigen Hörner waren tief im Gestein verkeilt. Watzi versuchte, mit seinem Geweih zu hebeln, doch der Stein war zu hart.
Da erinnerte sich Noah an das Geschenk von Firn. Er nahm den Eiskristall in die Hand und hielt ihn vorsichtig an die Stelle, wo die Hörner feststeckten. Das Licht des Kristalls traf den dunklen Fels.
Noah spürte die geballte, uralte Kraft des Eises in seiner Hand. Durch die Energie des Kristalls wurde der Fels an dieser kleinen Stelle für einen Augenblick weicher und nachgiebiger, als wäre er nur feuchter Sand.
„Jetzt, Watzi!“, rief Noah.
Der Wolperdinger stieß mit aller Kraft zu. Mit einem knirschenden Ratsch gab das weich gewordene Gestein nach, und die Hörner des Steinbocks waren frei!
Der Steinbock wackelte kurz, aber dann sprang er mit erstaunlicher Schnelligkeit in eine sichere Nische. Er drehte sich um, und seine dunklen Augen blickten Noah und Watzi dankbar an. Er neigte seinen Kopf, was bei einem Steinbock einem tiefen Dank gleichkam.
Dann sprach er mit einer tiefen, grollenden Stimme, die von den Felswänden widerhallte: „Die Berge vergessen keine Güte, Kind des Landes. Ihr habt das Band der Freundschaft gewebt. Fliegt sicher. Der Hochkönig wacht über euch.“
Mit einem letzten, kräftigen Stoß seiner Hufe sprang der Steinbock mühelos über die Klippe und verschwand in der Dunkelheit.
„Wirklich ein majestätisches Tier“, staunte Noah.
„Und eine gute Tat mehr auf der Habenseite, mein Freund“, piepste Watzi stolz und schwang sich wieder in die Lüfte. „Jetzt aber wirklich heim! Papa macht sich bestimmt Sorgen!“
Das Abenteuer auf dem Kristall-Gletscher und die Begegnung mit Firn und dem Steinbock waren unvergesslich! Jetzt sind die beiden auf dem direkten Weg nach Hause.
Mit dem Abschiedswort von Gamsbart, dem weisen alten Steinbock, im Ohr, gewannen Noah und Watzi schnell an Höhe. Der Mond leuchtete ihnen den Weg, und der warme Schimmer des Eiskristalls war ein beruhigender Anker in der Dunkelheit.
Schon bald ließen sie den Hochkönig hinter sich und glitten über ein gigantisches Feld aus Fels: das Steinerne Meer. Es sah aus der Höhe aus wie ein endloser Ozean, dessen Wellen in Stein erstarrt waren – eine ewige, stumme Landschaft, die sie ehrfurchtsvoll überflogen.
„Schau, Noah! Die Berge schlafen tief“, flüsterte Watzi.
Der Flug führte sie weiter südöstlich, bis unter ihnen ein dunkelgrünes Juwel im Fels aufleuchtete: der Königssee. Auf einer Halbinsel erkannten sie die kleine, rote Zwiebelkuppel von St. Bartholomä – ein winziger Farbtupfer in der Wildnis. Es war ein vertrauter Anblick, ein Zeichen, dass sie fast zu Hause waren.
Dann kam der mächtigste Gruß der Heimat: der Watzmann. Watzi steuerte sie dicht an der berühmten Ostwand entlang. Die gigantische, fast senkrechte Wand ragte wie ein Schild gegen den Himmel auf. Noah spürte die gewaltige Energie dieses Berges. Es war der Berg ihrer Kindheit, der Ort, an dem ihre Geschichte begonnen hatte.
Der Wolperdinger jubelte leise und drehte eine Ehrenrunde, bevor sie in den Kessel von Berchtesgaden einflogen. Die Lichter der Dörfer glänzten wie verstreute Goldmünzen. Sie sahen den Lattengebirgskamm, wo die Sonne am Morgen begonnen hatte, die Gipfel zu küssen, und folgten dem Flusslauf bis in die vertraute Stille der Ramsau.
Watzi sank tiefer, flog über die Wiesen und murmelte: „Fast geschafft, mein Freund! Wir sind zurück in der Ramsau!“
Mit einem letzten eleganten Sinkflug landeten die beiden sanft und leise im weichen Gras des Kurgartens, direkt hinter Noahs Haus.
Noah stieg von Watzis starkem Rücken. Er atmete die vertraute Luft ein – sie roch nach Tannen, feuchter Erde und nach dem frisch gebackenen Bauernbrot seines Vaters.
„Wir sind zu Hause, Watzi“, hauchte Noah und blickte in den Sternenhimmel, der jetzt nicht mehr fremd und ehrfurchtgebietend war, sondern warm und vertraut.
Der Wolperdinger legte seinen Kopf an Noahs Wange. „Das war die größte Reise, die ein Junge und ein Wolperdinger jemals unternommen haben. Aber jetzt habe ich wirklich Hunger auf Das frische Bauernbrot von Papa.“
Noah lächelte. Er trug den funkelnden Eiskristall in seiner Hand und ein unvergessliches Geheimnis in seinem Herzen. Er wusste, dass das Abenteuer mit Firn dem Eisriesen und Gamsbart dem Steinbock erst der Anfang war. Morgen würde er seinem Vater alles erzählen, aber jetzt war es Zeit, ins warme Bett zu schlüpfen.
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"Die kleinen Wichtelmänner des Zauberwaldes"
Nach ihrem aufregenden Flug über den großen Watzmann schwebten der kleine Noah und Watzi der Wolperdinger sanft zu Boden. Sie landeten an einem Ort, den Noah noch nie zuvor gesehen hatte, obwohl er doch schon so viele Stunden am Fuße des Watzmanns und am Königssee verbracht hatte. Hier war es anders. Große, uralte Bäume ragten wie grüne Kathedralen in den Himmel und bildeten ein dichtes Blätterdach, das nur hier und da einzelne Sonnenstrahlen hindurchließ. Die Luft war erfüllt vom Duft von feuchter Erde, Moos und einem Hauch von etwas Süßem, fast Magischem. Das war es, wovon Watzi gesprochen hatte: Das Herz des Zauberwaldes.
Noahs Augen weiteten sich vor Staunen. Überall funkelte und glitzerte es. Winzige, leuchtende Pilze säumten den Waldboden, und an den Ästen der Bäume hingen schimmernde Spinnweben, die aussahen wie feinste Silberfäden. Leise, melodische Klänge schwebten durch die Luft, wie ein Chor aus tausend winzigen Glocken, und er konnte schwören, dass er das leise Rascheln von unsichtbaren Flügeln hörte. Watzi, sonst so ausgelassen, legte einen Finger an seine Lippen und zog Noah behutsam hinter einen besonders breiten, moosbewachsenen Baumstamm. „Ganz leise, Noah“, flüsterte der Wolperdinger, seine Ohren zuckten aufmerksam. „Wir sind hier nicht allein. Hier leben die Wichtelmänner!“
Neugierig spähte Noah um den Baumstamm herum. Er brauchte einen Moment, um sie zu erkennen, denn die kleinen Wesen waren meisterhaft getarnt. Doch dann sah er sie. Winzige Gestalten, kaum größer als seine Hand, mit Zipfelmützen in allen möglichen Grüntönen und kleinen, leuchtenden Laternen an ihren Gürteln. Sie wuselten geschäftig um einen kleinen Bach herum, der sich murmelnd durch den Wald schlängelte.
„Was machen die denn?“, flüsterte Noah fasziniert. Watzi kicherte leise. „Sie bauen eine Wassermühle! Das machen sie immer, wenn der Bach besonders viel Wasser führt. Sie nutzen die Kraft des Wassers, um ihre kleinen Samen zu mahlen und winzige Holzstücke zu sägen.“
Noah beobachtete gebannt das geschäftige Treiben. Ein paar Wichtelmänner trugen geschickt winzige Baumstämme, die für sie riesig waren, auf ihren Schultern. Andere hämmerten und klopften mit winzigen Werkzeugen, die im Sonnenlicht aufblitzten. Wieder andere schaufelten geschickt kleine Erdklumpen, um den Bachlauf so zu lenken, dass er perfekt an ihrer Baustelle vorbeiführte. Alles geschah mit unglaublicher Präzision und einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Es war, als ob jeder Wichtel genau wusste, was zu tun war, ohne dass jemand Anweisungen geben musste. Sie sangen leise, summende Lieder bei ihrer Arbeit, und die Melodien mischten sich mit dem Plätschern des Baches und dem Rascheln der Blätter.
Besonders ein Wichtel, der eine rote Mütze trug, fiel Noah auf. Er war der Kleinste von allen, aber er war der Eifrigste. Er schleppte einen besonders großen Stein, der fast so groß war wie er selbst, und legte ihn sorgfältig an die Basis der entstehenden Mühle. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn – oder was auch immer Wichtel sich von der Stirn wischen – und grinste dann breit, als ein anderer Wichtel ihm zustimmend auf die Schulter klopfte.
Die Mühle nahm schnell Gestalt an. Winzige Zahnräder aus hellbraunem Holz wurden eingesetzt, und ein kleines, perfekt geformtes Wasserrad begann sich vorsichtig im Bach zu drehen, angetrieben von der sanften Strömung. Noah konnte sehen, wie die Wichtelmänner kleine Säcke mit winzigen, leuchtenden Samen in die Mühle füllten, und kurz darauf hörte er ein leises, beruhigendes Klappern, als die Mühle ihre Arbeit aufnahm.
Plötzlich jedoch durchbrach ein panischer Schrei die friedliche Geräuschkulisse! Einer der jüngeren Wichtelmänner, der besonders eifrig war, hatte sich zu nah an das sich drehende Wasserrad gewagt. Seine kleine blaue Zipfelmütze blitzte auf, als er mit einem Bein zwischen zwei der winzigen Holzspeichen eingeklemmt wurde. Das Rad drehte sich weiter, und der kleine Wichtelmann zappelte verzweifelt, kam aber nicht mehr heraus. Die anderen Wichtelmänner rannten aufgeregt umher, zu klein und zu schwach, um ihrem Freund zu helfen. Ihre summenden Lieder verstummten, und stattdessen erfüllten besorgte Piepser die Luft.
Noah und Watzi zögerten keine Sekunde. „Wir müssen ihm helfen!“, rief Noah entschlossen. Watzi stürmte voran und versuchte mit seinen kräftigen Pfoten, das große Wasserrad anzuhalten. Es war schwer, aber mit all seiner Kraft stemmte er sich dagegen, und langsam, quietschend, kam das Rad zum Stehen. Noah rannte zum Bach, beugte sich vorsichtig über das Rad und streckte seine Hand aus. Der kleine Wichtelmann war ängstlich, seine Augen waren weit aufgerissen, aber Noahs sanfte Stimme beruhigte ihn. Mit Fingerspitzengefühl und großer Vorsicht löste Noah das kleine Bein des Wichtelmanns aus der Verklemmung.
Der Wichtelmann taumelte kurz, dann fiel er Noah dankbar um den Finger. Er war unverletzt, nur ein bisschen erschrocken. Die anderen Wichtelmänner jubelten erleichtert und umringten ihren Freund und seine Retter. Der kleine Wichtelmann blickte zu Noah und Watzi auf und strahlte.
„Das ist unglaublich!“, hauchte Noah und vergaß fast, leise zu sein. „Die sind ja richtige Baumeister!“
„Die Wichtel sind fleißig und sehr geschickt“, bestätigte Watzi stolz. „Sie passen auf den Wald auf und sorgen dafür, dass alles im Gleichgewicht bleibt. Sie sind ein wichtiger Teil des Herzens des Zauberwaldes.“
Während sie die kleinen Arbeiter beobachteten, spürte Noah eine tiefe Ruhe. Er hatte das Gefühl, dass er hier, in diesem magischen Wald, an einem ganz besonderen Ort war. Ein Ort, an dem die Natur lebendig war und wo kleine Wunder an jeder Ecke warteten. Die Geräusche des Waldes – das Murmeln des Baches, das Summen der Wichtel, das leise Rascheln der Blätter – wirkten wie eine beruhigende Melodie, die sein Herz erfüllte.
Die Sonne begann tiefer zu sinken und tauchte den Zauberwald in ein warmes, goldenes Licht. Die leuchtenden Pilze und langsam Spinnweben schimmerten nun noch heller, und die winzigen Laternen der Wichtel tanzten wie Glühwürmchen in der Dämmerung. Noah und Watzi blieben noch eine Weile versteckt, genossen die friedliche Atmosphäre und das faszinierende Schauspiel der bauenden Wichtelmänner. Es war ein Geheimnis, das nur sie beide teilten, und Noah wusste, dass er diesen magischen Anblick niemals vergessen würde.